Siemens und Compliance! Ein Bericht über Erfahrungen mit Compliance

Herr Dr. Theo Waigel, Compliance Monitor bei Siemens, referierte bei dem Wirtschaftsbeirat Bayern zu der Fragestellung: Stärkt Compliance die Deutschen Unternehmen? Herr Rechtsanwalt Christian Koch vom complianceforum.de berichtet über seine Eindrücke an diesem Abend.

Herr Dr. Waigel widerlegte in seinem Vortrag viele Vorurteile, die bei der Implementierung von Complianceorganisationen entstehen. Eines der am häufigsten verwendeten Argumente, dass Compliance sehr teuer sei, wurde anschaulich entkräftet. Siemens beschäftigt weltweit ca. 400 000 Mitarbeiter; davon sind aber nur rund 600 Mitarbeiter mit Compliancethemen beschäftigt, also gerade einmal 0,15 % der gesamten Belegschaft.

Der Konzern musste insgesamt für Strafzahlungen und Aufarbeitung seiner Complianceverstösse ca. 2,2 Mrd. Euro bezahlen. Diese Summe relativiert die Anfangsinvestitionen in Compliance und das darauffolgende Compliancebudget.

Ebenso konnte ein weiteres Gerücht bekämpft werden. Die Sanktionen, die die SEC (Securities Exchange Commission) und DoJ (Department of Justice) gegen Siemens aussprachen, geschahen nach den Ermittlungen der bayerischen Justiz. Es war nach dem Vortrag von Herrn Dr. Waigel zufolge also kein Versuch der US-Behörden, US-amerikanischen Firmen einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, indem Siemens mit Compliance traktiert wurde. Bayerische Behörden waren die ersten, die die Compliancevorfälle bei Siemens bearbeiteten.  

Als Compliance Monitor bei Siemens, führten Herr Dr. Waigel und sein Team unzählige Gespräche mit Mitarbeitern in fast 40 Ländern. Aus diesen Ausführungen war durchgehend herauszuhören, dass Offenheit und Ehrlichkeit unverzichtbarer Bestandteil sind, um eine Bestandsaufnahme vorzunehmen und Compliance zu implementieren. Um ein Bild von der damaligen aktuellen Compliancesituation zu erhalten, forderte Herr Dr. Waigel seine Gesprächspartner auf, mittels einer Kurve anzugeben, mit welchem Prozentanteil die Complianceanforderungen erfüllt wurden.

 Es gab sogar Niederlassungen, die auf einen Besuch des Compliance Monitor drängten, weil ihre Compliancesysteme angeblich sehr gut waren, was sich nach einer entsprechenden Prüfung vor Ort auch bewahrheitete.

Herr Dr. Waigel berichtete weiter, dass Mitarbeiter davon erzählten, dass sie stolz auf Siemens sind, weil keine krummen Geschäfte gemacht werden.

Einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren bei dem Aufbau von Compliancesystemen liegt wohl darin begründet, dass die Mitarbeiter in ihrer Landessprache befragt wurden und nicht in der Konzernsprache.

Herr Dr. Waigel ist seit 2009 als Compliance Monitor bei Siemens tätig und hat von Jahr zu Jahr weniger Empfehlungen zu der Implementierung von Compliance ausgesprochen. Waren es anfangs 114 sogenannte „recommendations“, waren es im letzten Jahr lediglich 9 an der Zahl. Recommendation ist der englische Begriff für eine Empfehlung, die im Unternehmen umgesetzt werden soll.

Ende 2012 endet die Aufgabe von Herrn Dr. Waigel als Compliance Monitor bei Siemens. Die US-Behörden übten an seinem letzten Bericht keine Kritik. Es kann also guten Gewissens behauptet werden, dass Siemens erfolgreich Compliance umgesetzt hat.

Zu einer Compliancekultur gehören nicht nur Mitarbeiterschulungen, sondern auch der professionelle Umgang mit Mitarbeitern, die gegen Compliance verstoßen. Von diesen sollte sich das Unternehmen sofort trennen, weil andernfalls die gesamte Glaubwürdigkeit bei allen Beteiligten leidet. Ein zusätzlicher relevanter Faktor war auch, dass die Anzahl der Bankkonten reduziert, und Geschäftsvermittler wie Agenten und Distributoren sehr kritisch überprüft wurden. Die Geschäftsbeziehung endete bei der Feststellung, wenn nur eine Briefkastenfirma existierte.  

Die vielleicht wichtigste Erfahrung lautet, dass Compliance nur dann Sinn macht, wenn auch die Geschäftsführung dahinter steht, getreu dem Motto: Tone from the top.

Siemens muss sich nach Aussagen von Herrn Dr. Waigel auch Kritik anhören, weil der Konzern seine bestehenden Lieferantenbeziehungen kritisch überprüft und auch Compliancezertifikate einfordert.

Dadurch kann Compliance aber auch als klarer Wettbewerbsvorteil gesehen werden, weil alle Beteiligten keinen Rufschaden fürchten müssen. Schließlich haben die Unternehmen alle Anstrengungen auf sich genommen, um sich gesetzes- und regelkonform zu verhalten.

Der Referent führte aus, dass es eine 100% Sicherheit nicht geben kann. Entscheidend sei aber die Art und Weise des Umgangs mit Complianceverstössen. Es soll die Geschäftsphilosophie gelten, dass immer und überall saubere Geschäfte durchgeführt werden. Natürlich kann es passieren, dass vielleicht der ein oder andere Auftrag nicht erteilt wird. Aber mittel- und langfristig wird das Unternehmen von Compliance profitieren.

In der anschließenden Fragerunde wurden diverse Themengebiete diskutiert. Ein wichtiger Lösungsvorschlag lautet, dass, wenn sich Complianceverstösse nicht vermeiden lassen, diese zumindest dokumentiert werden sollten und gegebenenfalls eine Meldung an das deutsche Außenministerium erfolgen sollte. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, den Wettbewerber konkret auf Unregelmäßigkeiten in seinen Prozessen hinzuweisen.

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass Compliance kein vergänglicher Trend ist, sondern für Unternehmen einen existentiellen Wettbewerbsvorteil darstellt.  

Rechtsanwalt Christian Koch

München, den 13.11.2012